Spuren von Arno Schmidt im Altkreis Fallingbostel

Aus dem Leben eines Fauns12/2014 - An vielen Stellen in der Region hat Arno Schmidt in seiner Zeit in Benefeld und Cordingen seine literarischen Spuren hinterlassen. So arbeitet der Protagonist in "Aus dem Leben eines Fauns" als Archivar in der Zeit des Dritten Reichs bei der Landkreisverwaltung in Fallingbostel und beschreibt sein Umfeld. Sprachlicher Höhepunkt und Abschluss des lesenswerten Kurzromans ist die Beschreibung eines Luftangriffs auf die EIBIA: in expressionistischer Sprache, bildhaft und spürbar real.

Walsroder Zeitung vom 31.12.2014: Eine Schreibmaschine vom Fahrradhändler

Arno Schmidt zählt zu den wichtigsten Autoren der bundesrepublikanischen Nachkriegsliteratur. Entsprechend große Beachtung wurde seinem 100. Geburtstag in diesem Jahr mit herausragenden Ausstellungen unter anderem im Bomann-Museum in Celle und vielen Veröffentlichungen gewidmet. Auf „Wichtige Jahre eines Sonderlings“ im hiesigen Landkreis wies auch Thorsten Neubert-Preine am 17. Januar 2014 in der Walsroder Zeitung hin.

Geboren wurde Arno Schmidt 1914 in Hamburg. Nach dem Tod des Vaters, eines Polizeioberwachtmeisters, zog seine Mutter mit Arno und der älteren Schwester Lucie nach Lauban/Schlesien. In Görlitz besuchte Schmidt die Oberrealschule, machte 1933 Abitur und absolvierte anschließend eine kaufmännische Lehre. Von 1937 bis 1940 war er kaufmännischer Angestellter in Greiffenberg/Schlesien.

Am 21. August 1937 heiratete er Alice Murawski. 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Er war in Frankreich, Norwegen, an der Eismeerfront und bei Kriegsende wieder an der Westfront stationiert. Er geriet in britische Kriegsgefangenschaft, die er in einem Lager bei Brüssel verbrachte. Dann kam Schmidt nach Munster. Aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, zog das Ehepaar Schmidt in den letzten Dezembertagen 1945 auf den Cordinger Mühlenhof. Zunächst arbeitete Arno Schmidt als Dolmetscher an der in Benefeld ansässigen Hilfspolizeischule des Bezirks Lüneburg, danach war er als freier Schriftsteller tätig.

Trotz bescheidenster Lebensumstände eines Flüchtlings begann Schmidt auf dem Mühlenhof mit einem Werk, das wegen seiner radikalen Ästhetik und seiner Sprachgewalt aus der Masse der damals erscheinenden sogenannten „Trümmerliteratur “ herausragt. 1952/53, als Schmidt aus dem Kreis Fallingbostel bereits wieder fortgezogen war, entstand der Roman „Aus dem Leben eines Fauns“. Im Mittelpunkt dieses 1939 und 1944 spielenden Buches steht der als Archivar auf dem Fallingbosteler Landratsamt beschäftigte Heinrich Düring.

Düring, „Anfang 50, 1 Meter 85 groß, glaubenslos, frei von ansteckenden Krankheiten und zu keiner Zeit Mitglied der NSDAP oder ihr angegliederter Organisationen“, vergleicht das Fallingbosteler Landratsamt mit einem „Prometheusfelsen“. Mit Fallingbostel verbinden Düring vor allem Gedanken an inkompetente Vorgesetzte und Kollegen, die sich dem Nationalsozialismus verschrieben haben.

Düring lässt keine Gelegenheit ungenutzt, den Landrat durch sein enormes Wissen bloßzustellen. Als das Gespräch auf die Zeit der napoleonischen Besetzung kommt, will der Landrat auftrumpfen: „,Jaaa', sagt er langsam und geschichtsphilosophisch, ,wir haben ja auch mal zu Frankreich gehört – tjaa' (Wie die Zeit doch so vergeht fehlte noch). ,Äh-Fallingbostel selbst nicht, Herr Landrat', berichtigte ich kleinlich-erfreut (so lieben es die Herren ja, wenn kleine Angestellte so ganz typisch 'kleine Angestellte' sind, mit Seel' und Leib: da können sie nachsichtig lächeln: also: lächle, mein Bajazzo! Ich tu Dir den Gefallen. Und weiter so eifrig-ausgefüllt, Pflichtschönchen und Bleistiftspitz): 'nur die nordwestliche Kreishälfte bis zur Böhme; hier war 'Königreich Westfalen?' und sah ihn erwartungsvoll und blauäugig-primussen an: bist Du blöd!“

Der Roman „Aus dem Leben eines Fauns“ gibt auch die Eindrücke des von Cordingen zur Arbeit nach Fallingbostel fahrenden Düring wieder: „Auf dem Bahnsteig umsehen: im verarmten rotgefrorenen Himmel der feste, freche Mond, grins e Schweige. Ein Traktor hämmerte, foppte Stank aus, platzte patzig […]. Dann noch die Mühle mit der Böhme, und das Denkmal Quinti Icilii.“ „Der knappe Mond saß an der Kante des Kirchturms; die eine schwarze Glocke im Schalloch, knurrte stumpf nach unten.“ Ein Gedankenspiel, das Schmidt seinem Alter ego Düring zuschrieb, erfüllte sich nicht: „Kurze Belustigung: ich stellte mir vor, ich sei ein berühmter Toter, und Witwe Berta führte die Leute durchs Düring-Museum in Fallingbostel: da lagen in den Schaukästen unter Glas meine Manuskripte [...] An der Wand mein Porträt von Oskar Kokoschka mit nur einem Ohr und höchst unchristlichem Inkarnat. [...] Auch vor dem Haus mit Turm (= der Kirche) draußen stand ich hoch im metallenen Frack, und reckte die Hand mit vornehmen Abscheu gegen das Landratsamt aus...“ Dürings Statue soll den Platz des Quintus-Denkmals einnehmen, bei dessen Errichtung darauf geachtet wurde, dass es von der Kirche zur sogenannten 1. Beamtenwohnung hinübergrüßte. Während Quintus Icilius freundlich zu seiner Wirkungsstätte schaut, will Düring noch als erzenes Monument seine Verachtung bekunden.

Aus den beengten Wohnverhältnissen mit vielen Mietparteien auf dem Mühlenhof, wo es zudem noch mit Helene Felsch zu einem Gerichtsverfahren wegen Mietzahlungen für Hausrat gekommen war, suchte Schmidt durch den Antrag auf Umsiedlung zu entkommen. Am 1. Dezember 1950 fuhr dann tatsächlich um 8.00 Uhr vom Fallingbosteler Bahnhof ein Flüchtlingstransport ab, dem Arno und Alice Schmidt angehörten. Arno Schmidt hat diese Erlebnisse in seiner Erzählung „Die Umsiedler “ zu einer gleichermaßen zärtlichen wie illusionslosen Liebesgeschichte verarbeitet. Beim Verladen ihrer Habseligkeiten auf dem Fallingbosteler Bahnhof lernen sich der Ich-Erzähler und Katrin kennen: „Zwei Gastzimmer der Börse; erst halb voll, vorm Fenster lockte ein winziger Rundtisch. Ich schob die Schuhspitze an den Rand des nächsten Sonnenflecks und bat: 'Sind Sie auch allein?!' Sie überlegte, gerade so wie man soll; dann wiegte sich ziervoll der Lippenkelch: 'M-m.' Sah anerkennend zu, wie ich die zwei Stühle belegte, und mit den Koffern unsere Weltecke verschanzte.“

Auch die Betreuung durch das Fallingbosteler Rote Kreuz schlägt sich in den „Umsiedlern“ literarisch nieder: „Katrin brachte wieder die Wärmflasche mit dem Rotkreuzkaffee heraus, und wir aßen Jeder eine der gutgemeinten Honigschnitten.“ Wesentlich prosaischer liest sich die Eintragung im Protokollbuch des DRK: „1. 2. 50. 147 Umsiedler wurden morgens von ½ 5 bis ½ 6 Uhr mit Kaffee u. Butterbroten verpflegt i. d. 'Börse' u. b. 'B ente'.“ Für die Fallingbosteler Ortsgruppe des DRK stellte diese Umsiedlerbetreuung eine wichtige Aufgabe dar. Vom 20. November bis zum 1. Dezember wurden in den beiden dem Bahnhof am nächsten gelegenen Gastwirtschaften insgesamt 426 Umsiedler mit Kaffee, Butterbroten und einmal sogar mit Rindfleischsuppe verpflegt.

Arno Schmidt wohnte ein Jahr lang in Gau-Bickelheim, dann nahm er 1951 seinen Wohnsitz in Kastel/Saar. Als er 1955 wegen seiner Erzählung „Seelandschaft mit Pocahontas“ wegen Gotteslästerung und Pornografie angezeigt wurde, verließ er fluchtartig den kleinen Ort und zog nach Darmstadt um. Das Verfahren gegen ihn wurde 1956 endlich eingestellt. In der Stadt fühlte sich Schmidt nicht wohl. Deshalb verließ er bereits drei Jahre später Darmstadt wieder. 1958 bezog er ein kleines Haus in Bargfeld im Kreis Celle, in dem er am 3. Juli 1979 im Alter von 65 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls starb.

Auch wenn sich Arno Schmidt nur wenige Jahre im Kreis Fallingbostel aufgehalten hat, die Bedeutung dieser Zeit darf nicht unterschätzt werden. Hier wurde er zum Schriftsteller, und hier hielt er sich nach seinem eigenen Bekunden erstmals in der ihm gemäßen Landschaft mit Heide, Moor und Flachland auf.

Der Kreis Fallingbostel hat auch noch in der nach einem die Welt verwüstenden Atomkrieg angesiedelten Erzählung „Schwarze Spiegel“ Spuren hinterlassen – eine Erzählung, die mit den Kurzromanen „Aus dem Leben eines Fauns“ und „Brands Haide“ zur Trilogie „Nobodaddys Kinder“ zusammengefasst wurde. Schließlich hat Schmidt auch noch einen in Ahlden und Ost-Berlin spielenden „Historischen Roman aus dem Jahr 1954“ mit dem Titel „Das steinerne Herz“ verfasst. Im „Steinernen Herz“ kommt - wie könnte es bei Ahlden anders sein - der Prinzessin Sophie Dorothea eine große Rolle zu. Übrigens: Zum Umzugsgut des Ehepaares Schmidt, das auf dem Fallingbosteler Bahnhof verladen wurde, gehörte auch ein Gegenstand, zu dem Arno Schmidt ein Jahrzehnt später am 15. Dezember 1960 notierte: „Auf dieser Maschine, der alt=gekauften ORGA=PRIVAT, sind, von BRAND'S HAIDE an, bis 1960 (...) alle meine Bücher, zumindest im Entwurf, meist aber sogar auch in Reinschrift geschrieben worden. (...) Außerdem sämtlich Roh=Entwürfe der Übersetzungen, bis in den Anfang des STANLEY ELLIN hinein, wo sie – zu meiner aufrichtigen Bekümmernis – allzusehr zu versagen begann. Sämtliche ‚Nachtprogramme’ wurden auf ihr entworfen; bis Nr. 145 etwa auch alle Essays und Zeitungsgeschichten. – Wir haben sie im Jahre 1949 alt in Fallingbostel (bei einem Fahrradhändler, wo wir unser Tandem kauften), gebraucht erstanden, und sie hat unvergleichlich gedient! – Arno Schmidt“. Aus Fallingbostel – oder genauer gesagt dem Fahrradgeschäft Finke & Meckert, bei dem wohl die Schreibmaschine erstanden wurde – stammt also das Handwerkszeug, das für das Entstehen einiger der wichtigsten Nachkriegsbücher in deutscher Sprache erforderlich war!

Dr. Wolfgang Brandes

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