Neue Erkenntnisse in London zur EIBIA

20120310 tnp in londonLondon ist zweifellos eine Reise wert. Der Walsroder Stadtarchivar und Vorsitzende des Geschichtshausvereins in Bomlitz, Thorsten Neubert-Preine, war aber nicht aus touristischen Gründen in der britischen Hauptstadt. Sein Interesse galt dem großen Nationalarchiv (The National Archives) in Kew am Rande von London, wo er nach Unterlagen zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit in unserer Region und zur EIBIA im Speziellen suchte. Schon oft wurde der Historiker mit speziellen Fragen von Interessierten konfrontiert, die er nicht beantworten konnte, weil es hierzu keine Quellen in deutschen Archiven gibt. In London wurde fündig.

So fragen Besucher des einstigen Produktionsgeländes der Pulverfabrik EIBIA in der Lohheide immer wieder danach, was die britische Regierung über diese kriegswichtige Anlage wusste und warum sie nicht bombardiert worden ist. Auch hinsichtlich der Militärverwaltung nach dem Krieg ist die Quellenlage in deutschen Archiven eher dünn und gibt nur wenige Hintergründe preis.

Begleitet wurde Thorsten Neubert-Preine von Horst Stumkat aus Bonn, der sich schon seit seiner Jugend in Benefeld für die EIBIA interessiert und sich zum hervorragenden Kenner der Pulverproduktion und der britischen Luftbildaufklärung entwickelt hat. Seine Kenntnisse über die eingesetzten Flugzeuge, die Kameratechnik der Kriegszeit und die mathematische Korrektur von Fehlern der Luftbilder sind äußerst beeindruckend. Es dürfte niemanden geben, der die Eibia-Lohheide so exakt erkundet und vermessen hat, wie der pensionierte Elektro-Ingenieur aus Bonn.

Nach einem Identifikations- und Einführungsverfahren erhielten die beiden Forscher das begehrte „Readers’s Ticket“, mit dem sie durch eine Schleuse in den Lesesaal gelangen konnten. Unter strenger Kontrolle des Aufsichtspersonals durften sie sich dort Originaldokumente ansehen.

Am Anfang stand natürlich die Suche nach den gewünschten Akten, was sich zur Suche mehrerer Stecknadeln in vielen verschiedenen Heuhaufen entwickelte. Die Aktentitel lieferten zumeist keine oder nur sehr wenige Hinweise darauf, ob darin interessante Unterlagen zu finden sein könnten. Oftmals standen nur Zahlenkombinationen und Initialen von Einheiten auf den Aktendeckeln. Die seltenen Ortsangaben waren in vielen Fällen nicht richtig geschrieben, so dass sich die Recherche über den Suchcomputer sehr schwierig gestaltete. So trug eine wichtige Akte den Titel „Detachment Fellingbostel“ statt Fallingbostel. Vielfach mussten die Forscher deshalb die Findbücher des Archives durcharbeiten. Sie wühlten sich durch einen Berg von Akten, die zwar selten langweilig, aber oftmals nichts oder nicht viel über die Geschichte unserer Region enthielten. Dabei begegneten sie u. a. auch dem bedeutenden englischen Staatsmann Winston Churchill in Originalbriefen aus seinem Büro in der Downing Street Nr. 10. Es ist sehr spannend, ja vielfach aufregend, zu lesen, wie Entscheidungen auf höchster Ebene getroffen wurden, wie schwierig die Einschätzung der Lage oftmals war und welche aus heutiger Sicht unbedeutenden Ereignisse das Handeln mitbestimmt haben, betont Neubert-Preine. Die Originaldokumente lassen die Geschichte der Kriegszeit in einer Weise lebendig werden, wie es kein Buch erreichen kann.

Mit viel Glück und Spürsinn wurden Neubert-Preine und Stumkat schon sehr bald fündig. So konnten sie die Suche in einer Aktengruppe von 868 Einzelakten nach Durchsicht aller Titel auf 45 Akten einschränken. Nach einer stichpunktartigen Sichtung hielten sie die erste „Stecknadel“ in Händen, ein ausführlicher Auswertungsbericht der im September 1944 gemachten Luftbilder von Wolff & Co. Walsrode und der Tochterfirma EIBIA. Beide Forscher waren überrascht, über welche Detailkenntnisse das britische Militär verfügte. Auf dem beigefügten großen Luftbild, das mosaikartig aus Einzelbildern zusammengesetzt ist, hatte die Interpretationseinheit des Luftfahrtministeriums (Air Ministry) die Umrisse der Fabriken genau eingezeichnet und einzelne Gebäude kenntlich gemacht. Die britischen Spezialisten erkannten u. a., dass bei der EIBIA Kordite, also rauchloses Pulver produziert wurde.

Auch die Frage, warum die Pulverfabrik nicht zerstört worden ist, können die beiden Forscher nun recht gut anhand der aufgefundenen strategischen Bewertungen der Bombardierungsziele beantworten. Darüber hinaus fanden sie zahlreiche bisher unbekannte Unterlagen zur Nachkriegszeit, so u. a. die Kriegstagebücher britischer Einheiten vom April und Mai 1945 nach dem Einmarsch in unsere Region, Akten über die Ausländerlager (DP-Camps), die Militärgerichtsbarkeit in Walsrode, das Spruchgericht Benefeld-Bomlitz zur Entnazifizierung und das bis 1949 betriebene Hospital für Dicplaced Persons in Benefeld.

Bevor sie aber mit den Ergebnissen ihrer Arbeit an die Öffentlichkeit gehen, wollen sie die Kopien der alten Dokumente sorgfältig durcharbeiten. Danach ist eine Veröffentlichung in der Schriftenreihe RÜCKBLENDE des Vereins Stiftung Geschichtshaus Bomlitz geplant. Vorträge und Führungen durch das EIBIA-Gelände sollen folgen. Eine EIBIA-Führung durch Neubert-Preine ist zumindest schon am „Tag der EIBIA“ am Pfingstmontag vorgesehen. Diese Veranstaltung organisiert  der Verein FORUM Bomlitz.

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