Else Hunt gab der Geschichte eine Stimme

20160929 Lesung mit Else Hunt09/2016 - Es gibt nicht mehr viele Gelegenheiten, KZ-Überlebende persönlich zu erleben. Daher war das Interesse groß, als Heinrich Thies mit Else Hunt, der Hauptperson aus seiner Romanbiographie "Wenn Hitler tot ist, tanzen wir", beim FORUM in Bomlitz zu Gast war. Ca. 150 Zuhörer kamen zur Lesung und waren persönlich ergriffen von der ehemaligen Jarlingerin, die aus ihrem Leben und von ihren damaligen Erlebnissen erzählte. Heinrich Thies las und moderierte den Dialog, in dem die Geschichte begreifbar wurde.

 

 

Walsroder Zeitung vom 01.10.2016: "Das Kämpfen bin ich gewohnt." Forum Bomlitz: KZ-Überlebende Else Hunt spricht in voll besetztem Dorfgemeinschaftshaus. Lesung von Heinrich Thies.

Staub fegt über die Felder und Straßen, es ist Kartoffelernte in Jarlingen. Heute wie damals. Die Geschichte von Else Hunt beginnt vor genau 75 Jahren, im Oktober 1941. Die damals 19- Jährige lehnt auf einer Geburtstagsfeier die Tanzaufforderung eines polnischen Zwangsarbeiters ab. Ihre Wortwahl kostet sie dreieinhalb Jahre ihres jungen Lebens in Freiheit: „Wenn Hitler tot ist, tanzen wir.“

2016: Im Bomlitzer Dorfgemeinschaftshaus sammeln sich am Donnerstagabend hunderte von Menschen; auf Stühlen, auf Tischen und auf dem Boden sitzend, selbst stehend an der Wand. Sie alle sind gekommen, um der Lesung aus Heinrich Thies' Romanbiografie zu lauschen – und den Erzählungen der Hauptfigur selbst. Else Hunt ist der Einladung des Forum Bomlitz gemeinsam mit Autor Thies gefolgt und berichtet aus erster Hand von ihren Erlebnissen. Eine Geschichtsstunde der besonderen Art: Die mittlerweile 94-Jährige sitzt inmitten der Menschenmenge, wie eine Märchenerzählerin. Und wie alle Märchen ist auch ihres gut ausgegangen – doch einige Kapitel sind dunkel. Wie das, welches sich im Konzentrationslager Ravensbrück abgespielt hat.

„Wenn du deine Arbeit nicht ordentlich gemacht hattest, haben sie dich auf dem Tisch festgeschnallt und dir 25 Schläge auf den Hintern gegeben“, erzählt Hunt. „Dazu hast du Gummihosen anbekommen, damit das Blut sie nicht anspritzt.“ Sie, die Nazis. „Du durftest nicht weinen, dann gab es nur noch mehr Schläge.“ Hunt spricht mit Mühe, ist aber trotz mehrerer Schlaganfälle in der Vergangenheit gut zu verstehen. Sie hat nicht nur das KZ überlebt, wie aus ihren Erzählungen deutlich wird. „Man muss eben kämpfen – und das Kämpfen bin ich gewohnt“, resümiert die Jarlingerin, die nach ihrer Entlassung – damals noch durch die Deutschen – nach Celle geht, dort ihren zukünftigen Mann kennenlernt und mit ihm nach England übersiedelt.

Als er 1971 stirbt, kehrt sie in die Heide zurück – als „Mrs. Hunt“, inklusive englischer Staatsbürgerschaft. Nun lebt sie in Walsrode in einem Seniorenheim. Wer Else Hunt damals für ihre unbedarfte Äußerung bei der Gestapo angeschwärzt hat, hat sie bis heute nicht erfahren. Durch das Buch von Heinrich Thies, den sie vor etwa 16 Jahren als Journalisten kennenlernte, hat sie eine Berühmtheit erlangt, der sie anfangs mit Skepsis begegnete – so wie einige Menschen ihr selbst, als sie aus dem KZ gekommen war und als „Feindsliebchen“ verhöhnt wurde. „Die Leute können denken, was sie wollen“, schließt Hunt mit den Erfahrungen von damals ab, „Ich weiß, dass ich mit dem Polen nichts gehabt habe. Ich habe den Tanz abgesagt – mehr kann ich nicht machen.“

„Mehr“ wünschen sich aber die Menschen im Heidekreis, wie am Donnerstag deutlich wurde. Beispielsweise einen Stolperstein, der an die Geschichte Hunts erinnert – und an den polnischen Zwangsarbeiter, der seine Aufforderung später mit dem Leben bezahlt hatte. Trotz all der Schrecken hat Else Hunt ihren Humor aber nicht verloren. Ein Stolperstein mit ihrem Namen? „Warum soll ich was dagegen haben? Steine haben wir genug.“

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.