Eine Katastrophe kurz nach der Befreiung

04/2016 - Wer die Gedenksteine der Ehrengräber auf dem Bomlitzer Friedhof aufmerksam liest, dem fällt schnell auf, dass viele Personen, die dort beigesetzt wurden, am 20. Mai 1945 oder kurz danach verstarben. Der Zweite Weltkrieg war aber bereits am 16. April 1945 in Bomlitz und der Umgebung mit der Befreiung durch die Briten beendet worden. FORUM-Vorstandsmitglied Heinz Steudle hat sich mit dem Thema beschäftigt und in der Walsroder Zeitung darüber berichtet. Das Foto zeigt ein polnisches Hochzeitspaar im Jahr 1945 in Benefeld mit einem deutschen Mädchen, das ein Kleid aus Verbandsmaterial trägt. 

Walsroder Zeitung vom 04.04.2016: „Hier ruhen die verstorbenen Polen“.
Kurzserie von Heinz Steudle: Ein Gedenkstein auf dem Bomlitzer Friedhof steckt voller Geheimnisse.

Gewöhnlich geht man achtlos daran vorbei – an den sogenannten Polengräbern auf dem Bomlitzer Friedhof. Hin und wieder kommen Gedanken auf, dass dort Polen beerdigt sind, die sich mit Methylalkohol 1945 „totgesoffen“ haben.

Eine Informationstafel beschreibt die historischen Ereignisse. Die dort Beerdigten haben nach internationalen Bestimmungen ewiges Ruherecht. Es wurde jedoch wenig getan, um den großen Gedenkstein in der Mitte des Grabfeldes zu erhalten. Die Schrift ist kaum noch lesbar. Wenn man den verwitterten Gedenkstein genauer betrachtet, kommen Fragen auf. Es soll eine Hochzeitsfeier gewesen sein, damals im Mai 1945. Aber wo wurde das Brautpaar beerdigt? Unter den namentlich genannten Toten gibt es keine Frau. Auf der Gedenkplatte stehen nur Männernamen. Eine Feier ohne Frauen? Und wenn Frauen dabei gewesen sind, haben die nichts getrunken? Überhaupt, eine Hochzeitsfeier? Wo fand die standesamtliche, wo die kirchliche Trauung statt?

Es gibt keine schriftlichen Unterlagen, keine Akten der Behörden. Keine Eintragungen in irgendeinem Standesamt, keine Zeilen in Kirchenbüchern. Selbst in den noch vorhandenen Krankenakten des Walsroder Krankenhauses gibt es keine Hinweise auf eine Teilnahme von Frauen. Vergiftete Frauen wurden damals nicht eingeliefert und behandelt. Krankenakten über männliche Teilnehmer sind dagegen vorhanden.

Es bleiben Fragen offen. Mündlich überliefert wird von zwei deutschen Krankenschwestern berichtet, die an der Feier teilgenommen haben sollen. Nach eigenen Angaben tranken sie den (Methyl-)Alkohol mit Fruchtsaft in der Form eines Likörs. Danach, so berichteten sie, hätten sie erhebliche Sehstörungen für eine gewisse Zeit gehabt.

Der 20. Mai 1945 war ein Pfingstsonntag. Herrlich strahlte die Sonne vom blauen Himmel. Die Temperatur kletterte auf plus 20 Grad. Der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Seit einigen Wochen ruhten nun schon die Waffen. Unter den Ausländern herrschte Siegeslaune. An jenem besagten Pfingstsonntag fand in Benefeld eine Feier statt, möglicherweise eine polnische Hochzeitsfeier, bei der mehr als 30 Personen (vorwiegend Ausländer) besagten Methylalkohol tranken und daran jämmerlich zugrunde gingen oder fortan mit schweren Folgeschäden leben mussten. Die Fremd- und Zwangsarbeiter hatten eigentlich auf eine glückliche Zukunft in Freiheit gehofft. Stattdessen erlitten etliche von ihnen den Tod. Ein tragisches Ereignis.

Wie die Gruppe an den Methylalkohol gekommen war (in der Nähe der Chemiefabrik Wolff & Co.) wird unterschiedlich überliefert. Die einen sagen, sie hätten sich den „Stoff“ selbst besorgt. Die anderen meinen, sie hätten ihn auf dem „schwarzen Markt“ gekauft oder getauscht. Wahrscheinlich ist sowohl das eine wie auch das andere. Auch wird behauptet, sie hätten durch erneute Destillation versucht, den giftigen Alkohol zu reinigen.

Ein paar Todgeweihte wurden im Laufe des schicksalhaften Tages noch ins Lazarett Benefeld eingeliefert. Andere kamen ins Krankenhaus Walsrode. Erbärmliche Szenen sollen sich vor dem ehemaligen Kinosaal in Benefeld – auf dem Gelände befindet sich jetzt der Combi-Markt (bis vor kurzem Jibi) – abgespielt haben: Schreie vor Schmerzen, das verzweifelte Wälzen auf Tragen. Nur der schnelle Tod brachte Erlösung.

 

Walsroder Zeitung vom 05.04.2016: Gedenken an die polnischen „Kumpel“.
Kurzserie von Heinz Steudle: Nur eine Grabplatte erinnert neben Geschichten an die „Benefelder Tragödie“ 1945.

14 Polen, darunter auch ein polnischer Soldat, und zusätzlich ein Lette und ein Italiener wurden nach dem schmerzhaften Tod in einem Gemeinschaftsgrab auf dem Bomlitzer Friedhof beerdigt. Insgesamt liegen dort 16 Personen. Die anderen zwölf Toten landeten auf dem Friedhof in Walsrode. Sie waren zuvor ins dortige Krankenhaus gebracht worden. Einfache Holzkreuze schmückten die Gräber, die am Rande der jeweiligen Friedhöfe Bomlitz und Walsrode lagen.

Am unteren rechten Rand der Gedenkplatte werden die Verstorbenen als Kollegen (polnisch: Koledzy), als Kumpel, bezeichnet. Was war das für eine Kameradschaft damals, in jenen Tagen? Gab es nach dem jämmerlichen Sterben für diese Toten, für die Kameraden, einen Trauergottesdienst oder irgendeine Beerdigungsfeier? Waren Bekannte oder Freunde dabei, als deren „Kumpel“ ins Gemeinschaftsgrab gelegt wurden? Oder hat man sie einfach so beerdigt, ohne Trauergäste?

Von all den schrecklichen Ereignissen ist eine Erinnerungsplatte übrig geblieben, die weiterhin zu verwittern droht. Vermutlich hat ein polnischer Steinmetz den Stein erstellt, versehen mit polnischen Schriftzügen. In einer besonderen Art ist der Buchstabe „S“ gemeißelt. Eine künstlerische Eigenart des damaligen Steinbearbeiters. Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass überhaupt eine Gedenkplatte hergestellt wurde. Vermutlich geschah dies auf Anordnung der Engländer um 1948/49.

Obwohl in der Überschrift auf der Gedenkplatte von den „verstorbenen Polen“ gesprochen wird, waren auch ein Lette und ein Italiener dabei. Hinter den jeweils gemeißelten Namen wird auf diese Besonderheit hingewiesen, in Klammern gesetzt. An der sogenannten „polnischen Hochzeitsfeier“ waren also offensichtlich nicht nur Polen beteiligt.

Zuvor waren der Saal für das Fest geschmückt, die Wände neu bemalt worden. Was war das für eine Gemeinschaft, die da fröhlich, nichts ahnend, den Todestrank zu sich nahm? Es waren ehemalige polnische Zwangsarbeiter in der Pulverfabrik EIBIA und Polen, die auf Bauernhöfen in der Umgebung gearbeitet hatten. Sie verfügten über keinerlei Chemiekenntnisse. Ebenso waren polnische Soldaten anwesend, Ausländer unterschiedlicher Herkunft und auch Deutsche. Eine bunte Gesellschaft also.

Bis heute sind die namentlich aufgeführten Toten für die jeweiligen Familien im fernen Polen spurlos verschwunden. Die betroffenen Verwandten wissen nicht, wo ihre Angehörigen abgeblieben sind.

Häufig wird die Frage gestellt: Warum sind die vielen Polen nicht umgehend nach Hause gebracht worden? Zurück in ihr Heimatland, nach Polen. Die Antwort ist einfach: In Polen war die Rote Armee einmarschiert. Die Sowjets installierten dort zusammen mit den polnischen Kommunisten eine Diktatur der Gewalt und des Terrors, und dorthin wollten die hiesigen, meist national eingestellten Polen nicht zurück.

Die Gedenkplatte und die Grabsteine auf dem Friedhof in Bomlitz legen Zeugnis ab von außergewöhnlichen Todesfällen in einer schlimmen Zeit. Der Gedenkstein hat eine besondere Bedeutung für den Geschichtsablauf in der Gemeinde. Die Toten gehören zum Umfeld der EIBIA, zur Geschichte der Firma Wolff & Co. Für die etwa 2000 Toten des gesamten EIBIA-Komplexes gibt es in Bomlitz sonst keine Gedenkstätte. Darum ist die Erinnerungs-Platte ein wichtiges Mahnmal als Gedenken an die „Benefelder Tragödie“.

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