Die Warnau-Brücke als sinnloses Kriegsopfer

01/2016 - Im April 1945 wurden in der Region von oft versprengten deutschen Truppenteilen Brücken zerstört oder vehement verteidigt. Die britische Armee sollte am Überqueren der Aller oder auch der Warnau gehindert werden. Ein letzter sinnloser Akt in einem sinnlosen Krieg. Die getöteten Soldaten, die nur noch wenige Tage hätten überstehen müssen, befinden sich z.B. auf den Ehrenfriedhöfen in Essel oder Eickeloh und auch in Borg. FORUM-Vorstandsmitglied Heinz Steudle aus Benefeld hat die bewegte Geschichte der Warnau-Brücke in Benefeld in den letzten Kriegstagen 1945 in der Walsroder Zeitung beschrieben.

Walsroder Zeitung vom 23.01.2016: Schlichtes, aber bedeutsames Bauwerk.

Von Benefeld in Richtung Westen verläuft der Weg auf der Cordinger Straße über die Warnau-Brücke. In der Regel weitgehend unbeachtet, wird sie täglich von Hunderten Verkehrsteilnehmern passiert. Dabei hat die Brücke eine wechselvolle Geschichte hinter sich und spielte vor gut 70 Jahren eine bedeutsame Rolle. Der Benefelder Heinz Steudle hat die Geschichte der Brücke rekonstruiert.

Die Warnau ist ein kleiner Fluss. Seine Quelle liegt in Neuenkirchen, die Fließrichtung ist südwärts gerichtet, er passiert unter anderem die Ortsteile Benefeld und Cordingen und mündet bei Borg in die Böhme. Einst war ein Abschnitt der Warnau Grenzfluss zwischen dem Bistum Verden und dem Herzogtum Lüneburg. Jetzt bildet eine bestimmte Strecke die Grenze zwischen den Landkreisen Heidekreis und Rotenburg. Im Bereich der Ortsteile Cordingen und Benefeld liegt ein reizvolles Waldtal mit der historischen Cordinger Mühle.

Was passierte vor etwa 70 Jahren am Ende des Zweiten Weltkrieges an der Brücke? Englische Soldaten näherten sich im April 1945 dem Ort Benefeld. Zu der Zeit rammte der Volkssturm kräftige Pfosten links und rechts der Cordinger Straße in die Erde. Eine Panzersperre sollte entstehen, direkt vor der Warnau-Brücke. Zu gegebener Zeit wollten Männer des Volkssturms dicke Stämme in die Zwischenräume legen und damit Panzer aufhalten. Von der Wirkung waren sie überzeugt.

Am 15. April 1945 besetzten englische Einheiten die Stadt Walsrode. Am selben Tag bereiteten in Benefeld junge deutsche Waffen-SS-Soldaten zusätzlich zur Panzersperre eine Sprengung der Warnau-Brücke vor. Ein sinnloses Unterfangen; drei Wochen vor Ende des Krieges und ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. Es waren junge, im nationalsozialistischen Geist erzogene Burschen, die keinerlei Bezug zum Ort hatten. Sie zerstörten eine für die Infrastruktur des Dorfes wichtige Brücke. Von den jungen Soldaten haben einige ihren Fanatismus mit dem Tode bezahlt. Ihre Gräber befinden sich auf dem Borger Friedhof, Todesdatum 16. April 1945.

Als jener 15. April langsam zu Ende ging, mussten die Benefelder Familien, die am Anfang der Uferstraße wohnten, in den Luftschutzkeller gehen – wegen möglicher Gefahren durch herumfliegende Steinbrocken. Gegen Morgen, zwischen 4 und 5 Uhr, war es dann soweit. Mit einer gewaltigen Explosion flog die Brücke in die Luft, und Gesteinsteile prasselten auf die Dächer nieder. Aber die Brücke war nicht total zerstört. Der untere Brückenbogen blieb teilweise stehen.

Um die Mittagszeit des 16. April erschienen erste englische Einheiten auf der Hauptstraße, unterstützt von polnischer Infanterie in britischer Uniform. Sie kamen über die Cordinger Bahnschienen und drangen Richtung Warnau-Brücke vor. Polnische Soldaten in englischer Uniform gehörten damals zur „Anders-Armee“. Diese „Armee“ kämpfte auf Seiten der Briten gegen Nazi-Deutschland.

Den ganzen Vormittag über hatte es Wechselfeuer gegeben. Die Panzersperre vor der Warnau-Brücke konnte der Volkssturm nicht vollenden. Alle Vorbereitungen waren vergeblich. Auch die Sprengung der Brücke im Morgengrauen hatte keinerlei Wirkung. Denn auf der rechten Seite, vor der gesprengten Brücke, führt eine Kastanienallee zur Cordinger Mühle. Dort gab es eine weitere Brücke. Diese hielt, sogar als Panzer darüber fuhren. Für die Engländer entstand lediglich ein Umweg von etwa 300 Metern. Später wurde der gesamte nachfolgende Tross ebenfalls über die standhafte Mühlenbrücke geführt. Mehrere Tage ging das so.

Für die Benefelder war infolge der Sprengung die Verbindung nach Cordingen, Walsrode und Visselhövede dagegen erheblich erschwert. Auch der Weg zum Bahnhof und zum Einkaufen beim Landhandel Hogrefe gestaltete sich mühsamer. Kohle für die Ofenheizung musste besorgt werden. Schwierig war auch der Besuch der Gaststätte Hogrefe. Nur zu Fuß oder mit einem getragenen Fahrrad war die Überquerung möglich. Motorfahrzeuge mussten den Umweg über die Mühlenbrücke in Kauf nehmen. Selbst mit einem Handwagen war nur noch dieser Weg möglich. Immer wieder versuchten Menschen, den Übergang über die beschädigte Brücke zu verbessern.

Im Frühjahr 1946 unternahmen einige ältere Männer den Versuch, eine Notbrücke zu erstellen. Zu diesem Personenkreis gehörten ehemalige Mitglieder des Volkssturms. Sie legten drei dicke Kanalrohre unter den verbliebenen Rest der Brücke in die Warnau. Darüber kamen zwei Eisenrohre. Seitwärts wurden Holzbalken (Grubenholz) in den Warnaugrund getrieben, als Stützen. Dann kam gelber Sand in die Zwischenräume (Schotter stand nicht zur Verfügung). Das Ganze wurde bis zum beschädigten Brückenbelag aufgefüllt. Den Abschluss bildeten Feldsteine. Und siehe da, mehrere Monate konnte die Behelfsbrücke sogar mit Autos befahren werden. Doch dem nächsten Hochwasser hielt die abenteuerliche, primitive Konstruktion nicht stand. Es zerstörte das mühsam erstellte Bauwerk.

Anfang 1946 gründete die englische Militärbehörde in Benefeld eine Hilfspolizeischule. Das Lager Lohheide Nord wurde Krankenhaus mit dem Namen „Liberation Hospital Bomlitz“. Es war nachvollziehbar, dass die Querung des Flusses dafür in Ordnung gebracht werden musste. Sowohl im eigenen Interesse als auch zur Unterstützung der Bevölkerung gingen die Engländer daran, 1947 eine Behelfsbrücke über die Warnau zu bauen. Sie benutzten dazu eine sogenannte Bailey-Brücke. Das ist eine vorgefertigte Stahlfachwerkbrücke aus dem Militärbereich. Der Erfinder dieser Brückenart war Donald C. Bailey, ein Armeeangestellter, der als Hobby Modellbrücken konstruierte. Nach seinen Vorstellungen wurde die Stahlbrücke errichtet. Sie bestand aus einzelnen Elementen, die von Pionieren an Ort und Stelle zusammengeschraubt wurden. Dicke Bohlen dienten als Fahrbelag.

In Benefeld konnte die Behelfsbrücke nach der Installation von allen Verkehrsteilnehmern regulär genutzt werden. Etwa sieben Jahre lang erfüllte die Notbrücke über die Warnau gute Dienste, und sie fand sogar Eingang in die (Welt)-Literatur. Nachzulesen im Roman „Schwarze Spiegel“ v on Arno Schmidt: „Ein Bahnübergang ... und immer mehr Gefälle. Eine Tommy-Brücke (halb verfault; noch vom Zweiten Weltkrieg her) über den geschlängelten stillen Wasserlauf “, heißt es darin. Im Roman nähert sich um 1962 ein Überlebender des Dritten Weltkrieges von den Cordinger Bahnschienen kommend der Behelfsbrücke über die Warnau. Eine in der Zwischenzeit bereits neu gebaute Brücke gab es in der Vorstellungswelt des Schriftstellers Arno Schmidt gegen Ende der 1940er Jahre noch nicht. Die von den Engländern aufgelegten Bohlen bezeichnet er deshalb in seiner Erzählung als „halb verfault“. Der Fluss mit verringerter Fließgeschwindigkeit mündet an der Brücke in einen Vorteich zur Mühle und wird dadurch zum „stillen Wasserlauf “.

Die Brücke, die 1954 von Grund auf saniert wurde und sich heute als schlichtes technisches Bauwerk darstellt, hatte eine wechselvolle Vergangenheit. Zur puritanischen Querung der Warnau gibt es mannigfaltige Beziehungen: historische Begebenheiten, technische Konstruktionsversuche und Erwähnung in der Literatur. Ohne extravagante Architektur gewährleistet die Brücke die simple Durchgängigkeit der Cordinger Straße. So simpel, dass sie nach wie vor von vielen Verkehrsteilnehmern gar nicht wahrgenommen wird.

 

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