Vortrag "Blitzmädel": "Stolz auf die Mama"

20130517 blitzmädel gruppeWalsroder Zeitung vom 21.05.2013: Lebendige Geschichtsstunde in Bomlitz. Kinder von "Blitzmädel" Ursula Löwe erzählen von ihrer Mutter und eigenen Erfahrungen. Vermittlung von Geschichte funktioniert am besten, wenn sie lebendig ist: in Sprache, in Dokumentation und in persönlicher Begegnung mit Menschen und ihren Emotionen. All das bot am vergangenen Freitag das FORUM: Es ging um das Buch "Blitzmädel", das die Geschichte einer Frau aus Benefeld erzählt, die nach ihrer Verführung in der Zeit des Nationalsozialismus und dem dramatischen Erwachen fast zeitlebens mit sich selbst haderte. 

Am Freitag gestatteten die Kinder des Blitzmädels Ursula Löwe tiefe Einblicke in die Seelenwelt ihrer Mutter, und sie berichteten von ihrer eigenen Kindheit und Jugend in den Niederlanden, wo sie es alles andere als leicht hatten – eben weil sie eine deutsche Mutter hatten. Bereits 2002 erschien das Buch "Blitzmeisje" in den Niederlanden, fast 2000 Mal wurde es dort verkauft, so gut wie alle Bibliotheken des Landes führen die Biografie in ihrem Bestand. Geschrieben hat es der Schwiegersohn Ursula Löwes, Dr. Jan Willem van Borselen. "Es ist schön, dass man Ursulas Geschichte nun auch hier lesen kann", sagte der Autor am Freitag in Bomlitz, "damit kehrt sie posthum zurück in ihre Heimat."

Er habe in dem Buch weder romantisiert, noch die Spannung künstlich erhöht, erklärte Dr. von Borselen, er habe schlicht die Geschichte aufgeschrieben, die seine Schwiegermutter ihm und seiner Frau, Evelyn de Roodt, erzählt habe. Dass Ursula Löwe ihre Geschichte überhaupt erzählen würde, kam unerwartet. Denn lange Zeit hatte die frühere Benefelderin, die als Funkerin („Blitzmädel“) in den letzten Kriegstagen auf einem Kopenhagener Flughafen noch immer dem „Führer“ treu ergeben war, mit sich gehadert. Kein Wort verlor sie über diese Zeit und darüber , wie es war, feststellen zu müssen, von einem barbarischen Regime geblendet und missbraucht worden zu sein. Bis zum Jahr 2000: Da sah sie im Fernsehen eine Dokumentation namens „Hitlers Kinder“, in der sie sich mit ihren Erlebnissen wiederfand. „Da hat sie ihre Haltung geändert, sie wollte ihre eigene Geschichte auch als Warnung für die heutige Jugend erzählen“, sagte Dr. van Borselen.

Doch es gibt auch einen zweiten wichtigen Aspekt im Leben Ursula Löwes, die nach dem Krieg den in der EIBIA als Zwangsarbeiter beschäftigten Niederländer Hendrik de Roodt heiratete und mit ihm nach Rotterdam zog. „Sie hatte immer das Gefühl, dass sie dort nicht willkommen war“, erzählte Tochter Evelyn de Roodt, die 1947 in der Benefelder Waldstraße geboren wurde, „und auch mich hat das immer geprägt, als Tochter einer deutschen Mutter in den Niederlanden zu leben.“

„Moffenkinder“ war die wenig schmeichelhafte Bezeichnung für Kinder von Deutschen in den Niederlanden, und Evelyn und ihr Bruder Henn de Roodt, geboren 1952, litten als „Moffenkinder“ in einem, in ihrem Land, in dem ihnen lange Zeit Ablehnung, bisweilen sogar Hass entgegenschlug. „Ich wurde schon in der Vorschule anders behandelt als meine Mitschüler“, sagte Evelyn de Roodt, „eine Lehrerin sagte zu mir, dass meine Mutter eine Sünderin ist und sie deshalb mit mir besonders streng sein muss.“

Auch manche Freundinnen durften die kleine Evelyn nicht mehr besuchen, und irgendwann begann die Tochter, die Mutter nach ihrer Vergangenheit zu befragen. Ursula indes blieb Antworten lange schuldig, „Krieg war ein Tabu-Thema“, erinnerte sich Evelyn de Roodt. Erst spät in hohem Alter im Zuge der Vorbesprechungen für das Buch begann Ursula zu erzählen - auch über ihre Zeit als glühende Hitler-Anhängerin und als Blitzmädel. „Ich war nicht schockiert“, erklärte Evelyn vor etwa 70 Gästen in Bomlitz, „ich konnte es verstehen.“

Verbittert oder gar traumatisiert war oder ist Evelyn de Roodt angesichts von Ausgrenzung und Missgunst in ihrer Kindheit jedoch ganz und gar nicht. „Ich habe viel Liebe von meiner Mutter bekommen“, sagte sie, „vor allem aber bin ich eines geworden: allergisch gegen Diskriminierung.“

Auch Evelyns Bruder Henn hat diverse Erfahrungen machen müssen, die davon zeugen, dass Niederländer auf ihre ehemaligen Besatzer aus Deutschland nicht gut zu sprechen waren. „Ich wurde oft verprügelt“, sagte er. Lehrer verboten ihm, in der Schule von seinen vielen Reisen nach Benefeld zu berichten, „das wollen wir nicht hören“, haben die Lehrer seinerzeit erklärt. „Durch diese Behandlung habe ich keine Nationalität gehabt“, sagte Henn de Roodt, „heute fühle ich mich da wohl, wo die Menschen offen und freundlich sind.“

Er habe mit seiner Mutter nie über seine problematische Kindheit als Sohn einer Deutschen in den Niederlanden gesprochen, „sie hatte es ohnehin schwer genug“, sagte Henn de Roodt. 2009 schließlich starb „Blitzmädel“ Ursula Löwe. „Ich bin sehr stolz auf meine Mutter“, beendete Henn de Roodt seine Erzählung über seine Mutter und deren außergewöhnliche Lebensgeschichte.

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